Kulturen mit Verweis auf ihre religiösen Traditionen voneinander abzugrenzen, ist tief in den wissenschaftlichen wie gesellschaftspolitischen Erzählungen der Moderne verankert - und das nicht nur im Okzident, sondern auch im Orient. Özkan Ezlis Studie zeigt jedoch, dass es fruchtbarer ist, den Strategien der Abgrenzung und den Gründen für Missverständnisse nachzugehen, an denen sich die Horizonte des Kulturellen und damit die Grenzen der Kultur abzeichnen.
Dem sowohl in der Literaturwissenschaft wie auch in der Orientalistik vorherrschenden Eindruck, dass der Orient weder Autobiographie noch literarische Reisebeschreibungen kenne, hält der Autor seine literaturwissenschaftlich-kultursoziologische Analyse von westeuropäischen, arabischen und türkischen Texten aus dem 19. und 20. Jahrhundert entgegen. Der Hinweis auf die vorgeblich fehlende Säkularisierungs- und Desakralisierungsgeschichte in der arabischen und türkischen Kultur ist angesichts von historischen Reiseerfahrungen und Bildungserlebnissen bestenfalls noch bedingt zutreffend. Ezlis Lektüren von wichtigen, aber bisher kaum rezipierten Texten machen Modelle von Individuation, Subjekt- und Kulturkonstitution sichtbar, die obwohl sie auf politische Kulturen in Orient und Okzident hinweisen, zugleich so verschieden und komplex sind, dass sie mit den groben Unterscheidungen Islam/Christentum und Moderne/Vormoderne nicht erfasst werden können. Eine neue Konfiguration von Orient und Okzident wird sichtbar.