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Gertrude Steins literarische Porträts

Gertrude Steins literarische Porträts

Gertrude Stein (1874-1946) ist eine Ikone der Klassischen Moderne: ihre Freundschaft mit Matisse und Picasso, ihr Pariser Salon, ihre Gemäldesammlung und ihre Liebesbeziehung zu Alice Toklas sind in zahlreichen Memoiren und Biographien beschrieben worden - nicht zuletzt von ihr selbst. Doch »Rose is a rose is a rose is a
rose« ist der einzige Satz dieser Autorin, der allgemein bekannt ist. Aufgrund der Serialität und Abstraktheit gelten viele ihrer literarischen Texte als unlesbar. Folgt man aber den Spuren, die diese Texte auslegen, und stellt Steins Arbeiten in den Kontext der Literatur-, Kunst- und Wissenschaftsgeschichte um 1900, ist eine Autorin der Avantgarde als Kulturtheoretikerin neu zu entdecken.
Stein hatte bei William James und Hugo Münsterberg in Harvard studiert. Sie war ausgebildete experimentelle Psychologin und Menschenbeobachterin aus Leidenschaft. In einer Parallelaktion zu Sigmund Freud entwickelte sie vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Forschung zu Hysterie und Suggestion einen Übertragungsbegriff und eine charakterpsychologische Typenlehre. Die Auseinandersetzung mit Flaubert und Cézanne und die Begegnung mit Matisse und Picasso eröffneten ihr neue Möglichkeiten einer selbstreflexiven literarischen Komposition, und schließlich gestattete ihr das freiwillige Exil in Frankreich einen distanzierten Blick auf die amerikanische Kultur. Steins Texte sind im Kern Porträts und Selbstporträts zugleich. Ihnen liegt das Interesse an der Umgangssprache als dem zentralen Medium moderner Gesellschaften zugrunde, das durch serielle Wiederholungen Bewusstsein und Identität der Subjekte erzeugt und standardisiert. In Haselsteins Studie ist eine der wichtigsten Positionen der Moderne wiederzuentdecken und mit dieser eine ebenso originelle wie außergewöhnliche literarische Stimme, die die Singularität des Individuums zu erfassen versucht.